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Welche Bedeutung haben die modernen Neurowissenschaften für die Frühförderung?

Gerhard Niemann

Abstract


Wenn der Beitrag der Neurowissenschaften aus einer gewissen Distanz heraus betrachtet wird, kann manches banal, selbstverständlich erscheinen. Das konkrete Arbeiten in der Beziehung - wesentlich abhängig auch von intuitiven Kompetenzen - bleibt stets entscheidend.
Bestimmte weitere Akzente werden hier aber gesetzt, u.a.:
- Auf die große Bedeutung der frühen, schon vorgeburtlichen (intrauterinen) Einflussfaktoren wird hingewiesen. Neue Befunde der Epigenetik machen dies plausibel und unterstreichen die sich daraus ergebende - auch gesellschaftliche - Aufgabe, stabile Schwangerschaftsverhältnisse zu ermöglichen.
- Die Befunde zur Vernetzung (Konnektiertheit) des Gehirns sollten gegen einfache Dogmen wie die Rechts- oder Linkslastigkeit in der Förderung oder in der Schule immun machen.
Es konnte herausgearbeitet werden, dass praktisch immer beide Hemisphären zusammenarbeiten und dass andererseits gewisse Unterschiede im Verhaltens- und Lernprofil normal sind - und das ausmachen, was die faszinierende Breite der Spezies Homo sapiens darstellt.
- Für spezielle Konstellationen, u.a. Kinder mit bestimmten Schädigungsmustern, kann aus dem Verständnis der Arbeitsweise des Gehirns ein fördernd-therapeutisches Vorgehen abgeleitet werden. Als Beispiel wird die CIMT (constraint induced movement therapy) bei Kindern mit konnataler Hemisymptomatik erläutert.
Schließlich bieten die Neurowissenschaften - speziell mit den funktionell-bildgebenden Techniken - eine Art zweite Ebene der Darstellung von Veränderung, also zukünftig auch eines möglichen Effekts von Förderung und Therapie. Darin liegen Chancen, um Förderung und Therapie auf eine weitere, wissenschaftliche Basis zu stellen. Dies könnte irgendwann aber auch „instrumentalisiert“ werden, um Förderungs- und Therapiemaßnahmen nur dann zu finanzieren, wenn sie auch auf dieser Ebene, der Sichtbarmachung von intendierten zerebralen Veränderungen, ihre Wirksamkeit bewiesen haben.
Schließlich kann diese zweite Ebene auch im Sinne eines Modells anregend wirken. Neue Ideen, z.B. zur therapeutischen Umsetzung, können daran sichtbar werden und das fördernd-therapeutische Umgehen befruchten.

Volltext:

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DOI: http://dx.doi.org/10.2378/fi2019.art01d