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Editorial zum Themenschwerpunkt "Lesekompetenz, Lesemotivation und Lesestrategien"

Jens Möller, Ulrich Schiefele

Abstract


Damit Kinder und Jugendliche zu guten Lesern werden, müssen sie nach Watkins und Coffey (2004) zwei Voraussetzungen erfüllen: "They must possess both the skill and the will to read". Während der Fähigkeitsaspekt seit längerer Zeit analysiert wird, wurde in der jüngeren Vergangenheit der Motivation zum Lesen (z. B. Wigfield & Guthrie, 1997) und den Lesestrategien (z. B. Palincsar & Brown, 1984) vermehrt Beachtung geschenkt. Nicht zuletzt die PISA-Studie hat diese Entwicklung weiter verstärkt. Sie hat die Lesekompetenz als zentrale Schlüsselqualifikation in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt und dabei neben soziokulturellen und kognitiven Faktoren auch die Bedeutung motivationaler und strategischer Determinanten der Lesekompetenz hervorgehoben (vgl. Artelt, Stanat, Schneider & Schiefele, 2001). Die deutschen Schüler und Schülerinnen ließen beispielsweise im internationalen Vergleich weit unterdurchschnittliche Werte in der Lesemotivation erkennen. Dies äußert sich auch in den Lesegewohnheiten. So geben in Deutschland zum Beispiel 42 % der 15-Jährigen an, nie zum Vergnügen zu lesen. Gleichzeitig belegen die PISA-Ergebnisse, dass die Lesemotivation einen statistisch signifikanten Prädiktor der Lesekompetenz darstellt (Artelt et al., 2001). Zudem gelten Lesemotivation und Lesestrategien als (etwa im Unterricht oder durch Trainingsprogramme) beeinflussbare Determinanten des Leseverständnisses. Die hier zusammengetragenen empirischen Arbeiten zur Lesemotivation, zu Lesestrategien und zur Lesekompetenz leisten aus unterschiedlichen Perspektiven einen Beitrag zur Analyse der Lesekompetenz. Im Einzelnen liegt ein diagnostischer Beitrag zur Erfassung der Lesemotivation vor, ein weiterer analysiert die Zusammenhänge zwischen Lesemotivation und Lesekompetenz. Vor allem aber werden drei Trainingsstudien geschildert, die unterstreichen, dass die Leseförderung und deren systematische Evaluation ein zentrales Anliegen der Pädagogischen Psychologie ist. Der Beitrag von Möller und Bonerad schildert die Entwicklung eines Fragebogens zur habituellen Lesemotivation (FHLM). Die intrinsische Lesemotivation umfasst dabei eine tätigkeitsbezogene Komponente („Leselust“) und eine gegenstandsbezogene Komponente („Lesen aus Interesse“). Zudem wurden die Wettbewerbsmotivation und das lesebezogene Selbstkonzept erhoben. Es werden die Ergebnisse von zwei Studien zur faktoriellen Struktur, zur Reliabilität und zur Validität berichtet.
In dem Beitrag von Schaffner und Schiefele wird ein Modell zu den Auswirkungen habitueller intrinsischer und extrinsischer Lesemotivation auf textbezogene Lernleistungen vorgestellt. Die Lesemotivation wurde mit einem neu entwickelten Fragebogen, bestehend aus zwei Subskalen intrinsischer Lesemotivation (gegenstands- vs. erlebnisbezogen) und zwei Subskalen extrinsischer Lesemotivation (leis­tungs- vs. wettbewerbsbezogen), erfasst. Das Modell berücksichtigt als vermittelnde Variab­len verschiedene kognitive Merkmale (z. B. Dekodierfähigkeit) sowie den aktuellen Motivationszustand beim Lesen eines Textes (z. B. intrinsische Motivation). Die Modellgültigkeit wurde bezogen auf die Lernleistungen bei zwei Texten mit mathematischen Inhalten anhand einer Schülerstichprobe (8. und 9. Klassen) überprüft. Das Lesetraining von Streblow, Holodynski und Schiefele für Schülerinnen und Schüler der 7. Jahrgangsstufe zielt neben der Vermittlung von Lesestrategien explizit auf eine Förderung der Lesemotivation. Dabei stellt insbesondere der auf der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan basierende Ansatz zur Anregung intrinsischer Lesemotivation eine zentrale Komponente des Trainings dar. In dem vorliegenden Beitrag werden die Konzeption des Trainingsverfahrens und die Ergebnisse von zwei Evaluationsstudien vorgestellt.
Spörer, Brunstein und Arbeiter stellen eine Trainingsstudie vor, in der die Effekte reziproker Lehrarrangements auf das Leseverständnis präsentiert werden. Sowohl trainierte Kleingruppen als auch Lerntandems waren der untrainierten Kontrollgruppe überlegen. Die Effekte werden durch den Einsatz von Lesestrategien vermittelt und sind auch im Follow-up-Test nachweisbar.
Schließlich beschreiten McElvany und Artelt neue Wege der Förderung der Lesekompetenz. An einer Gruppe von Viertklässlern wird eine umfangreiche Interventionsstudie vorgestellt. Das Besondere an dem Training ist, dass es in häuslichen Lernsettings umgesetzt wird und nicht im Rahmen des schulischen Unterrichts. Die Teilnahme an dem Leseprogramm brachte teilweise differenzielle Wirkungen, insbesondere profitierten schwächere Schülerinnen und Schüler bezüglich metakognitiver Komponenten.
Literatur
Artelt, C., Stanat, P., Schneider, W. & Schiefele, U. (2001). Lesekompetenz: Testkonzeption und Ergebnisse. In J. Baumert et al. (Hrsg.), PISA 2000 – Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich (S. 69 – 137). Opladen: Leske + Budrich. Palincsar, A. S. & Brown, A. L. (1984). Reciprocal teaching of comprehension-fostering and comprehension- monitoring activities. Cognition and Instruction, 1, 117 – 175. Watkins, M. W. & Coffey, D. Y. (2004). Reading motivation: Multidimensional and indeterminate. Journal of Educational Psychology, 96, 110 – 118. Wigfield, A. & Guthrie, J. T. (1997). Motivation for reading: An overview. Educational Psychologist, 32, 57 – 58.
Jens Möller Institut für Psychologie Universität Kiel
Ulrich Schiefele Abteilung Psychologie Universität Bielefeld

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